Dorminor bezahlt seine 'Schulden'

Seine Schritte hallten einsam auf dem kalten Steinfußboden des mit Fackeln beleuchteten Ganges, als er den Hauptkorridor verließ und sich seinem Laboratorium zuwandte, das vor gar nicht allzulanger Zeit fast so etwas wie seine zweite Heimat gewesen war. Nach einigem kurzen stillen Suchen förderte er den glänzenden Schlüssel aus den unergründlichen Tiefen seines weiten Umhangs zu Tage, und machte sich daran, die Tür zu entriegeln, was, im Gegensatz zu früheren Tagen, mit lautem Knarren des Schlosses einherging. Dunkle Gedanken umwölkten die Stirn des großen Zauberes, als er, sich im Geiste noch mit Elias unterhaltend, die schwere Eichentür aufstieß, wie er es, sehr zum Ärger des greisen Herrschers Belvor IV, schon lange nicht mehr getan hatte.

Das Labor schien wie schlafend unter einer alle Bewegung dämpfenden Decke aus gräulichem Staub zu liegen, die dem soeben Eingetretenen seine eigene melancholische Versunkenheit noch schmerzhafter vor Augen führte. In der vollkommenen Stille hörte er sich ein paar Sekunden lang tief durchatmen, um dann zum Arbeitstisch zu schreiten, und seine Aufzeichnungen einzusehen, die er irgendwann einmal zu einem Experiment gemacht hatte, das ihm jetzt furchtbar unwichtig vorkam. Er nahm den schweren Band behutsam in die Hand, strich mit der Hand einmal leicht über den Buchrücken, daß der Staub im Zwielicht herumtanzte, um sich dann langsam, ganz langsam, auf den Boden zu senken. Er schlug die Seite mit dem Lesezeichen auf und senkte den Kopf, um den Inhalt aufzunehmen, doch sein Blick blieb am Buchrand haften, und seine Gedanken begannen, in den Ereignissen der vergangenen Tagen und Wochen umherzuwandern...

Er wußte nicht genau, wie lange er so da gestanden haben mochte, als er ein lautes Räuspern, es war offentsichtlich nicht das erste seiner Art gewesen, aus Richtung der Tür hörte, die er nicht wieder verschlossen hatte. Er hob die Augen und wandte sich dem Geräusch zu, das er bereits ohne aufzusehen eindeutig dem ersten Hofzauberer zugeordnet hatte, der seine Unterhaltungen in Ermangelung besserer Umgangsformen, die er mit einem um so größeren Maß an Unfreundlichkeit zu kompensieren suchte, stets auf diese Weise zu beginnen pflegte.

"Da seid Ihr ja endlich," waren seine ersten Worte, die sich in seinen Ohren wie ein versteckter Vorwurf anhörten, was damit zwar nicht unbedingt gemeint sein mußte, aber äußerst wahrscheinlich war. Diese Zweifel wurden durch den zweiten Satz, den er, ohne auf Antwort zu warten, sogleich anschloß, beseitigt. "Ich hatte mir schon überlegt, ob ich hier nicht eine Abstellkammer einrichten lassen sollte, da Ihr ja sowieso kaum hier seid; es gibt hier nämlich auch Personen, die für ihre umfangreichen Arbeiten viel Platz brauchen, im Gegensatz zu einigen anderen, die in der Weltgeschichte herumreisen, und ihre Pflichten verachlässigen."

Dorminor war ohnehin nicht in der Stimmung gewesen, ein Gespräch mit seinem Kollegen zu suchen, und diese Attacke bekräftigte ihn nur noch in dieser Überzeugung. "Ja ihr habt Recht, es ist ein wunderschöner Morgen," entgegnete er ihm, der mit solch einer Antwort ganz offenbar nicht gerechnet hatte und daraufhin eine verdutzte Miene aufsetzte, die aber sogleich wieder dem altbekannten forschen Gesichtsausdruck wich, mit dem er nach einigen Augenblicken Denkpause fortfuhr: "mh, ja sehr schön.Weswegen ich ich eigentlich hier bin: Wie Ihr ja sicher noch wißt, habt Ihr euch bei dem Geburtstagsfest vor einem Monat bei mir den Betrag von 3 Goldstücken geliehen. Nun sind bereits fast vier Wochen um, und ich habe, da Ihr Euch ja noch während der Feierlichkeiten entfernt habt, bisher ein unverschuldetes Minus von 3 Goldstücken zu verzeichnen. Nicht etwa, daß ich kleinlich wäre, aber -"

"- und da habt Ihr Euch gedacht: Bevor der werte Kollege nochmal mit dem Geld durchbrennt, da hol` ich`s mir, solange er noch da ist; sehr richtig, Ordnung muß sein, und wo kämen wir hin, wenn das einreißt ?" Mit aufgesetztem fragenden Blick langte er kurz in seinen Geldbeutel und drückte dem in seiner Rede Unterbrochenem ein Platinstück in die Hand, das dieser erst gar nicht annehmen wollte, und erst mit den Worten "für Eure sonstigen Unkosten..." von der Notwendigkeit dieser Zahlung überzeugt werden mußte. "Ich weiß, Ihr seid ein vielbeschäftigter Mann," fuhr der säumige Zahler fort, "und ich möchte Euch keine Minute länger von Eueren Forschungen zum Wohle Furyondys abhalten." Dabei schritt er auf den ersten Hofzauberer zu und bedeutete diesem damit zu gehen, was jener anscheinend auch zur Kenntnis nahm und sich mit zustimmendem Gebrummel entfernte, ohne allerdings die Tür zu schliessen, was Dorminor mit unverhohlener Freude im Gesicht daraufhin nachholte.

Der erste Hofzauberer war ein hochbegabter, aber allseits gemiedener Zeitgenosse, der, wenn er nicht über seine Forschungen berichten konnte, nur unter größten Schwierigkeiten eine Konversation aufrecht zu erhalten vermochte. Er war aber trotzalledem ein treuer Diener des Königs, auch wenn letzterer nur dann mit ihm direkt in Kontakt trat, wenn es unumgänglich schien, denn seine Lobeshymnen konnten sich, im Gegensatz zu seinen sonstigen Lautäußerungen, über mehrere Minuten hinziehen, wodurch sich der König beizeiten zu einem versteckten Gähnen hinreißen ließ, was dem Redeschwall allerdings keinen Abbruch tat. Des weiteren war er aufgrund seiner Fähigkeiten bisher unentbehrlich gewesen, da er der einzige Zauberer im Palast gewesen war, der sich auf das Herstellen magischer Gegenstände, zumeist Waffen für den laufend großen Bedarf der Knights of the Hart, verstand.

Daß dies die längste Zeit der Fall gewesen war, davon wußte außer ihm selbst noch niemand, aber er ertappte sich bereits mehrmals dabei, wie er sich das Gesicht seines Kollegen vorstellte, der aus dem Munde des Königs die Ernennung Dorminors zu seinem Nachfolger vernimmt. Das diese Vorstellung sich in Kürze bewahrheiten würde, daran zweifelte er kaum, hatte ihm doch der König bei einer der letzten großen Festakte hinter vorgehaltener Hand versichert, er warte nur noch auf die Vollendung der Künste Dorminors, um den granteligen Vorgänger "mit einer anderen Aufgabe zu betrauen", was immer das auch sein mochte.